Herr Dr. Markus Metz begrüsst als Präsident der Statistisch-Volkswirtschaftlichen Gesellschaft Basel die zahlreich erschienenen Gäste des heutigen Abends mittels einer historischen Einleitung zum Begriff der Solidarität. Schon im alten Rom sollte der Schaden nicht durch Einzelne getragen, stattdessen jedoch auf eine bestimmte oder unbestimmte Menge an Personen verteilt werden. Dieses grundlegende Prinzip der Versicherung droht heute durch eine zunehmende Entsolidarisierung vernachlässigt zu werden. Welche Herausforderungen und möglichen Gegenmassnahmen sich hierbei für die Versicherungen ergeben, weiss Urs Berger, der als Präsident des Schweizer Versicherungsverbands unter grossem Applaus auf der Bühne empfangen wird.
Herr Berger zeigt zu Beginn mittels ausgewählten, sehr anschaulichen Zahlen die gute Positionierung der Versicherungen innerhalb der Schweizer Volkswirtschaft auf. So beträgt das Wachstum der realen Bruttowertschöpfung in den letzten 20 Jahren 125% und ist damit deutlich höher als jenes der Banken mit 42% oder jenes der Gesamtwirtschaft mit 40%. Die Versicherungen steuern heute einen Anteil von 47% zur Wertschöpfung des Schweizer Finanzplatzes bei, beschäftigen rund 50’000 Mitarbeitende und bieten 1’800 Lehrstellen an. Trotz starker Positionierung befinden sich die Versicherungen in durchaus turbulenten Zeiten, die Herr Berger im Folgenden anhand zentraler Szenarien erläutert.
Herr Berger veranschaulicht die erste Herausforderung mittels eines Bilds einer einsamen Insel, ein Fels in der Brandung, umgeben von Wellen. Wenngleich das Bild auf das Jahr 1914 datiert, hätte man ihm auch das heutige Datum zuweisen können. Nebst anhaltenden Nachwellen der europäischen Schuldenkrise, der Frankenstärke und einem unter Druck stehenden Schweizer Finanzplatz, stellt die neue Dimension der «postfaktischen» Erkenntnisse eine weitere Herausforderung für die Versicherungen dar. Die Erreichung von Transparenz und Glaubwürdigkeit wird zunehmend schwierig, wenn Emotionen Fakten zu verdrängen beginnen. Herr Berger plädiert für eine einheitliche Finanzmarktstrategie, die einen einheitlichen Auftritt von Bund und Finanzplatz bedingt.
Problematisch wirkt sich auch das anhaltende Tiefzinsniveau aus. In den finanzstarken Zeiten der 90er-Jahre haben die Lebensversicherungen Produkte mit hohen Garantien und langen Laufzeiten verkauft, diese Ertragsgarantien werden ihnen im heutigen Tiefzinsumfeld zum Verhängnis.
Auf Ebene der politischen Rahmenbedingungen charakterisieren sich die Herausforderungen gemäss Herrn Berger durch den technisch nicht mehr korrekten Umwandlungssatz und die staatlich festgelegten Mindestzinse, die der momentanen Entwicklungsdynamik des Marktes schlicht nicht mehr standhalten können. Verschärft wird dies durch verstärkte Regulierungen und Vorschriften der FINMA sowie dem zunehmenden Anlagenotstand.
Herr Berger äussert sich nicht als genereller Gegner von Regulierungen, plädiert jedoch für Regulierungen mit Augenmass. Freiheit für Innovation und Wettbewerb müsse erhalten bleiben, um letztlich Fortschritt erreichen zu können. Ein anschauliches Beispiel stellen hierbei die Kapitalvorschriften der Lebensversicherungen dar, die bei gleichen Risiken 1.5 bis 2-mal jenen der EU entsprechen. Einer Schwächung der Position Schweizer Versicherungen gegenüber dem Ausland müsse deshalb unbedingt vorgebeugt werden.
Eine weitere Herausforderung ist die Digitalisierung. Wenn auch Beratung durch Roboter und Policen für selbstfahrende Autos noch Zukunftsmusik darstellen, findet derzeit schon ein Aufbrechen der Wertschöpfungskette durch Firmen wie Google und Yahoo statt, die digitale Versicherungsprodukte auf den Markt bringen. Eine steigende Bereitschaft der Kunden, persönliche Daten freizugeben, kombiniert mit der Vorstellung, hierfür eine Gegenleistung, beispielsweise in Form einer Prämienverbilligung zu erhalten, birgt die Gefahr einer zunehmenden Entsolidarisierung.
Ein Gegentrend zur steigenden Entsolidarisierung sieht Herr Berger in der aufkommenden Sharing Economy. Für Versicherungen bieten sich hierbei neue Produktfelder mit grossem Potential, wobei passende Antworten noch gefunden werden müssen. Eine Möglichkeit wäre, dass Versicherungen kurzzeitige Produkte anbieten. Eine Lebensversicherung für einen dreitägigen Skiurlaub stellt nur eines der Vielzahl an möglichen Beispielen dar.
Im Anschluss erläutert Herr Berger die wichtigen Charakteristiken des Elementarschadenpools, der DAS Solidarwerk und eine wichtige Schweizer Errungenschaft darstellt. Solidarität ist hierbei zum einen dadurch gewährleistet, dass alle Versicherer zur Elementarschadendeckung verpflichtet sind, dies zu einer Einheitsprämie ohne Rücksicht auf das Risiko. Zum anderen wird eine Versicherbarkeit in stark exponierten Lagen ermöglicht, wobei eine Beteiligung am Schaden jeweils im Verhältnis zum Marktanteil erfolgt. Grosse Herausforderungen bestehen im zunehmenden Schadenpotential, bedingt durch den Klimawandel. Um diesem entgegenzuwirken engagiert sich der Schweizer Versicherungsverband stark in der Unterstützung der Klimaforschung, der Prävention von Schäden und in der Errichtung von geeigneten Alarm- und Frühwarnsystemen.
Die Versicherungen sind sich diesen Herausforderungen bewusst. Sie sind sehr stark positioniert und rüsten sich für eine spannende Zukunft, erklärt Herr Berger abschliessend. Ideen und das notwendige Rüstzeug sind vorhanden, man müsse die Versicherungen nur machen lassen.
Verfasser: Patrick Schnell und Marco Hürzeler (17.05.2017, RealWWZ)